SEBASTIÃO SALGADO
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Der Ruf des Goldes
Sebastião Salgado erhält am 20. Oktober den
Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Berühmt wurde er mit „Gold“, das mit bisher
unveröffentlichten Bildern in einer über Jahre
hinweg erweiterten Neuausgabe nun erscheint.
Alle Fotos:
Interview
Ein Gespräch zwischen Sebastião Salgado und Alan Riding
Ein Jahrzehnt lang weckte die
Serra Pelada Sehnsüchte nach
dem legendären Goldland El Do-
rado. Sie wurde zur weltgrößten
Freiluftmine, in der unter un-
menschlichsten Bedingungen
rund 50.000 Goldgräber arbei-
teten. Heute ist Brasiliens Gol-
drausch nur noch Stoff für Legen-
den, am Leben erhalten nur durch
die Fotografien von Sebastião
Salgado, dessen Bilder dazu bei-
trugen, die Mine zu schließen.
Sebastião Salgado setzte sich mit
seinem alten Freund und frühe-
ren Korrespondenten der New
York Times, Alan Riding, zusam-
men, um über „Gold“ zu sprechen.
„Gold“ von
Sebastião Salgado
Erweiterte von
Sebastião Salgado
aktualisierte
Neuausgabe
Hardcover, 24,8 x
33 cm, 208 Seiten
50 Euro
Ebenfalls erschie-
nen als signierte
und limitierte
Collector‘s Edition
und als Art Edition.
Taschen Verlag
Alan Riding: Serra Pelada war bereits einige Jahre
in Betrieb, bevor du dort warst. Wieso bist du nicht
früher hingegangen?
Sebastião Salgado: Diese Mine wurde 1980 entdeckt,
dem ersten Jahr, in dem Lélia und ich nach fast elf
Jahren Exil nach Brasilien zurückkehren konnten,
nachdem wir das Land während der Militärdiktatur
aus politischen Gründen verlassen hatten. Die Mine
interessierte mich, weil dort jeder Fotograf hinging,
aber das Militärregime ließ mich nicht. Genauso lief
das 1981, erneut 1982 und so weiter. Erst 1986 gab
die Bundesregierung endlich die Kontrolle über die
Mine auf und überließ sie einer Genossenschaft, die
von den ursprünglichen Prospektoren gegründet
worden war. Die erlaubten mir dann den Zutritt.
„Bereits nach
20 Metern war
ich vollkommen
mit Schlamm be-
deckt, ebenso
meine Kameras.“
War es so, wie du es erwartet hattest?
Die meisten Journalisten würden da nur einen Tag
bleiben. Ich blieb über einen Monat. Als ich an der
Mine ankam und in dieses Loch blickte, sah ich
dann eine Masse von Menschen, die ohne irgend-
welche Hilfsmittel mit der bloßen Hand gruben. Ich
dachte, das kann nicht wahr sein! Das Geräusch der
auf den Boden hämmernden Spitzhacken klang wie
das Geräusch in den Seelen dieser Schürfer. Sie wa-
ren zu Sklaven des Goldes geworden.
Als du in Serra Pelada ankamst – was hielt man
dort von diesem Außenseiter mit den blonden
Haaren und dem Bart?
Die Bergleute dachten, ich würde geschickt, um
sie auszuspionieren. Nachdem ich also am Rand
des Lochs angekommen war, hörten plötzlich alle
mit der Arbeit auf und begannen, einen gewaltigen
Lärm zu machen, indem sie auf ihre Äxte und Spa-
ten klopften. Ich fing dann zu fotografieren an und
stieg in die Mine hinunter, aber jeder, an dem ich
vorbeikam, hieb mit einer Tüte voller Schlamm auf
mich ein. Bereits nach 20 Metern war ich vollkom-
men mit Schlamm bedeckt, ebenso meine Kameras.
Ein Polizist sah mich und sagte: „Hey, Gringo, ich
will deinen Pass sehen.“ Ich erwiderte, dass ich kei-
nen Pass hätte, also legte er mir Handschellen an
und zog mich brutal zur Seite. Als die Bergleute das
sahen, wurde ihnen schlagartig klar, dass ich kein
Agent sein konnte. Sofort begannen sie, den Poli-
zisten durch Zwischenrufe zu belästigen. Der Typ
brachte mich zu seinem Vorgesetzten, der sofort er-
kannte, dass ich Brasilianer war. Er gab den Befehl,
mich frei zu lassen. Als ich später in die Mine zu-
rückkehrte, wurde ich jubelnd empfangen. Von dem
Moment an war ich total akzeptiert.
„Da viele Steine
herumlagen,
wurden einige
Polizisten von den
Bergmännern zu
Tode gesteinigt.“
Die Polizeipräsenz war wahrscheinlich notwendig,
aber verkomplizierte die Dinge auch.
Es gab massive Spannungen. Manchmal wurden
Bergmänner durch Polizisten getötet und da hier
viele Steine herumlagen, wurden einige Polizisten
zu Tode gesteinigt. Die Stimmung zwischen Schür-
fern und Polizisten war stets sehr angespannt.
Kannst du deinen typischen Tag in Serra Pelada
beschreiben?
Wenn jemand einen Film dreht, hat er ein fertiges
Drehbuch und weiß in der Regel, was er jeden Tag
zu tun hat. Als Fotograf ist dir zwar klar, wohin du
gehst, aber du weißt nicht, was dich dort erwartet.
Also ging ich mehrmals am Tag in der Mine rauf
und runter.
In dieser vordigitalen Zeit hast du mit Film
gearbeitet. Wie hast du den vor dem Schlamm
geschützt?
Das war kein Problem. Wenn ich den Film wech-
seln musste, dann habe ich das einfach gemacht.
Ich hatte immer drei Leicas mit 28-, 35- und 60-Mil-
limeter-Objektiven dabei. Die brauchte ich, da die
Zoom-Objektive damals noch nicht so gut waren.
Heute sind sie perfekt.
Als wir uns 1980 zum ersten Mal in Mexiko begeg-
net sind, hast du wie die meisten Fotografen mit
Farbfilm gearbeitet. In Serra Pelada hast du dann
Schwarzweiß-Film benutzt. Warum?
Ich finde Farbfotos schwierig. Beim Entwickeln
kommt zunächst immer ein bestimmtes Rot hier
oder eine andere Farbe da zum Vorschein. Die-
se Farbflecken sieht man stets als erstes, nicht die
Persönlichkeit, den Ausdruck oder die Würde der
Person. Schwarzweiß ist immer eine Abstraktion,
und innerhalb dieser Abstraktion finde ich all die
Grautöne, die eben nicht rein Schwarz oder Weiß
sind. Diese Grautöne sind es, die mir die Konzen-
tration auf ein Gesicht ermöglichen.
Das vollständige Interview findest du hier.