Finale
AUSSTIEG
27
Der „falsche“
Ameisenbär
Text: Wolfgang Heinen, Foto: Marcio Cabral
Es war einmal ein Ameisenbär, der stand in ei-
nem Besucherzentrum eines Naturparks in Bra-
silien – und kaum ein Mensch kannte ihn. Da kam
eines Tages ein Fotograf des Weges und sagte sich:
Was für ein schöner Ameisenbär, den könnte ich
doch toll in ein anderes Bild mit einem nächtlich
von Sternen beleuchteten Termitenhügel einmon-
tieren. Gesagt, getan. Das Bild sah wirklich su-
per aus und so sandte es der Fotograf Marcio Cab-
ral zum Wettbewerb „Wildlife Photographer of the
Year“, den das Natural History Museum in London
jährlich vergibt. Und siehe da, das Bild gewann den
ersten Preis, der Fotograf ist damit Wildlife-Fotograf
des Jahres.
Gewesen. Denn die Jury hat dem Fotografen den
Preis aberkannt, weil das Bild gestellt sei, der Amei-
senbär ausgestopft. Und das verstößt, na klar, ge-
gen die Regeln des Wettbewerbs. Die Jury wurde
im Nachhinein auf den möglichen Regelverstoß
aufmerksam gemacht, da einigen Betrachtern des
Fotos aufgefallen war, dass es im besagten Be-
sucherzentrum in Brasilien einen ausgestopften
Ameisenbär gibt, der mit exakt der gleichen Pose
an einem Baum steht. Fünf Expertenuntersuchun-
gen später kamen alle Spezialisten zu demselben
Schluss: Das Rüssel-Tier auf dem Foto ist eindeutig
das ausgestopfte Exemplar. Die Moral von der Ge-
schichte: Preis futsch, Ruhm futsch, Ehre futsch.
Diesen ausge-
stopften Amei-
senbären hatte
sich der Foto-
graf für sein
Vorhaben „aus-
geliehen“.