Interview
JUDITH DÖKER
26
„Die Sprache
des Herzens ist
universell.“
Die Schauspielerin, Buchautorin und Fotografin
Judith Döker zeigt mit ihren emotionalen Bildern,
welch enorme Kraft in uns Menschen ruht.
Fotos: Judith Döker, Interview: Thomas Probst
Für Judith Döker ist die Foto-
grafie das ideale Medium, um
Gefühle und Emotionen sichtbar
zu machen. Nachdem sie zwei
Jahre in der indischen Metropole
Mumbai gelebt hat, besuchte sie
Flüchtlingscamps im Libanon,
hat Menschen in pakistanischen
Dörfern getroffen und ehemalige
Kindersoldaten in Kolumbien
nach ihrer Vorstellung von Glück
befragt. Judith Döker möchte mit
ihren Porträts die Stärke und den
enormen Lebenswillen in uns
Menschen hervorheben. Wir ha-
ben mit der Fotografin in einem
kurzen Interview gesprochen.
Zur Person:
Judith Döker stu-
dierte acht Semes-
ter Jura, bevor sie
sich der Schau-
spielerei widme-
te. 2012 zog sie für
zwei Jahre nach
Mumbai, Indien und
schrieb darüber
das autobiografi-
sche Buch „Judith
goes to Bollywood“.
2015 begann sie
ihre Karriere als
Fotografin.
judith-doeker.de
Frau Döker, Sie sind auf Ihren Reisen vielen
Menschen begegnet, die zum Teil schwere Zeiten
durchgemacht haben. Wie gehen Sie auf diese
Menschen zu?
Bei meiner Arbeit als Fotografin gehe ich sehr intui-
tiv vor. Meine Erfahrung ist, dass Menschen sich
sehr gerne öffnen, wenn man ihnen mit echtem In-
teresse und einer wohlwollenden Neugier begegnet.
Um das zu vermitteln, bedarf es noch nicht einmal
einer gemeinsamen Sprache. Das funktioniert auch
non-verbal. Denn die „Sprache des Herzens“, wie ich
sie gerne etwas pathetisch nenne, ist universell und
wird überall auf der Welt sofort verstanden, egal
ob in einem pakistanischen Dorf, in libanesischen
Flüchtlingscamps, im kriegsgeschüttelten Syrien
oder in den Favelas Kolumbiens. Viel wichtiger als
perfekte Lichtverhältnisse oder ein irres Equipment
ist mir, dass ich mich mit dem Menschen, den ich
vor der Kamera habe, verbinde und versuche, seine
innere Schönheit zu erspüren. Das macht es
für mich lebendig.
Das Porträt wurde
bei den Internatio-
nal Photography
Awards (USA)
ausgezeichnet.
Ein muslimisches
Mädchen in Kal-
kutta, Indien.
Vermutlich war nicht jeder bereit, sich foto-
grafieren zu lassen. Wie gehen Sie mit solchen
Reaktionen um?
Ich bin immer wieder positiv überrascht, wie viele
Leute sich gerne fotografieren lassen. Aber natür-
lich kommt es auch vor, dass Menschen das nicht
wollen, und das kann ganz unterschiedliche Grün-
de haben. Den größten Fehler, den man meiner Mei-
nung nach in solch einer Situation machen kann
ist, diese Entscheidung persönlich zu nehmen, oder
dem Menschen gar ein Foto abzuringen. Ich habe
mit der Zeit gelernt, die Leute eher darin zu bestär-
ken, eine gute Entscheidung für sich selbst zu tref-
fen, mit der sie sich dann auch wohlfühlen.
Judith Döker be-
suchte ein Flücht-
lingscamp im Liba-
non, nahe der syri-
schen Grenze.
Ein Mädchen in
einem Flücht-
lingscamp nahe
Beirut, Libanon.
Für Ihr neuestes Projekt, einen Film zum Thema
„Drei Fragen: Glück“, haben Sie viele Menschen
danach gefragt, was Glück für sie bedeutet. Wie
hat Ihnen die Fotografie dabei geholfen, diese
Antworten „fühlbar“ werden zu lassen?
Für „Drei Fragen: Glück“ porträtiere ich Menschen
quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und
stelle ihnen folgende drei Fragen:
1. Wann warst du das letzte Mal glücklich?
2. Was müsste passieren, damit du häufiger Glück
erlebst?
3. Was müsste in Europa (alternativ: in deinem
Land) passieren, damit die Menschen dort glückli-
cher zusammenleben?
Dazu fahre ich manchmal einfach nur durch die
Straßen und spreche Menschen an, die mich spon-
tan interessieren. Andere frage ich ganz offiziell an,
wie erst neulich die SPD-Politikerin Katarina Barely
(Europa-Spitzenkandidatin der SPD und Bundesjus-
tizministerin), die mir ein sehr schönes, sehr ins-
pirierendes Interview gegeben hat. Oder ich wende
mich an Vereine, wie zum Beispiel an Gangway Ber-
lin e.V., die mich mit auf einen bekannten Berliner
Straßenstrich genommen haben. Über die Sozialar-
beiter lernte ich dort ein drogensüchtiges Pärchen
kennen. Ihre erste Frage
war, ob ich was zahle,
„Die Innigkeit der
wenn sie bei „Drei Fra-
beiden
hat
mich
gen: Glück“ mitmachen.
Ich verneinte und stellte sehr berührt.“
stattdessen in Aussicht,
dass sie durch ihre Teilnahme zu einem gesell-
schaftspolitischen Thema gehört würden. Mit mei-
nem Angebot kam ich mir ziemlich lächerlich vor
und hatte kaum Hoffnung, dass sie sich darauf ein-
lassen würden. Aber das Schöne an dieser Arbeit ist,
dass sie mich auch immer wieder mit meinen eige-
nen Vorurteilen konfrontiert. „Wir werden echt nie
gefragt, obwohl wir so viel zu erzählen haben“, war
Joanas spontane Reaktion. Die beiden erzählten
dann sehr offen von den Schwierigkeiten, die ihre
Sucht mit sich bringt, aber auch von ihrer großen
Liebe, die sie seit 10 Jahren miteinander verbindet.
Für das gemeinsame Foto war es Joana wichtig,
ihren Freund Cemo aus dem Rollstuhl zu hieven,
der 2017 bei einem schweren Unfall seinen Unter-
schenkel verloren hatte. Die Innigkeit der beiden
hat mich sehr berührt und die gilt es dann natürlich
auch mit der Kamera einzufangen.
Joana und ihr Freund Cemo in Berlin.
Salma (Mitte) arbeitet als Bettlerin in Lahore, Pakistan.
Ein Obdachloser in Kalkutta, Indien.
Dieses und viele weitere Themen bietet die neue
Ausgabe von fotoPRO, dem Magazin für aufstrebende
Profi-Fotografen. Das Einzelheft kostet 9,95 Euro,
das Jahresabo (4 Ausgaben) kostet 39,80 Euro.
https://imaging-media-house.de/fotopro/
Judith Döker