PhotoWeekly 51/2017 | Page 29

Interview JÖRG NICHT 29 „Man sollte ein Thema für sich definieren und das dann auch präsentieren!“ Jörg Nicht Jörg Nicht ist mit über 500.000 Followern einer der erfolgreichsten deutschen Fotografen auf Instagram. PhotoWeekly sprach mit ihm über den Fluch und Segen von sozialen Medien und die wichtigsten der Aspekte der Streetfotografie. Interview: Linda Schröder Jörg, du bist promovierter Sozialwissenschaftler. Wie kamst du zur Fotografie? Schon als Kind haben mich Fotos fasziniert – in Fotoalben und in alten Fotozeitschriften. So ent­ Zur Person: stand der Wunsch, selbst solche Jörg Nicht (*1973) Fotos zu machen. Mit 12 Jah­ studierte Erzie- ren bekam ich meine erste ei­ hungs- und Sozial- wissenschaften an gene Kamera. Mit 16 kaufte ich der HU Berlin und mir eine einfache Spiegelreflex­ promovierte dort kamera und begann, meine Fo­ auch. Er lebt seit 24 Jahren in der tos in der Dunkelkammer selbst Bundeshauptstadt zu entwickeln. Nach dem Abitur und ist seit 2016 entschloss ich mich Sozialwis­ professioneller Fotograf. senschaften zu studieren, die Fo­ joergnicht.com tografie blieb aber immer eine instagram.com/jn wichtige Beschäftigung von mir. Zur Profifotografie kam ich dann letztlich durch Instagram, weil ich dort zunächst meine Alltagsbeobachtungen zeigen konnte, die schließlich ein breiteres Publikum fanden. Über die­ sen Weg sind dann auch Unternehmen und Agentu­ ren auf mich aufmerksam geworden. Jörg Nicht beweist ein tolles Auge für Alltägliches Street Photography lebt zu einem großen Teil von den Menschen, die fotografiert werden. Was war das einschneidenste „Motiv“ vor deiner Linse? Solche Motive sind für mich meist diejenigen, die ich nicht fotografiere, weil ich sie zu spät entde­ cke oder aus anderen Gründen nicht fotografieren kann. Darüber ärgere ich mich dann nachher. So lief ich vor kurzem durch Kampala, der Hauptstadt Ugandas, und sah einen jungen Mann vor einer rot gestrichenen Wand sitzen. Er beobachtete mich mit ernster Miene. Als ich „Wenn ich auf ihn aber grüßte, grüßte er lächelnd zurück. Weil Motivsuche bin, ich schon lange unter­ habe ich meist ein wegs war, wollte ich zu­ rück ins Hotel. Seine Ge­ Thema oder eine schichte werde ich wohl Route im Kopf.“ nie erfahren. Wie entstehen deine Bilder? Hast du ein „Konzept“ vor Augen oder entstehen die meisten Aufnahmen ungeplant? Aufgrund meines sozialwissenschaftlichen Hinter­ grundes kann ich einen gewissen konzeptionellen Blick nicht leugnen. So versuche ich Städte zu ord­ nen: Wie verhalten sich die Menschen? Wird in der Öffentlichkeit geraucht? Unterhält man sich in der U-Bahn? Geht man bei Rot über die Kreuzung? Was ist das Typische eines Ortes? Aus solcherart Beob­ achtungen entwickle ich ein Bild, was ich auch zei­ gen möchte. In Prag habe ich mich beispielsweise an dem modernen Operngebäude abgearbeitet und zunächst keinen fotografischen Zugang gefunden. Am nächsten Tag sah ich, dass die Straßenbahnen, die jeder kennt, der einmal in Prag war, vor der Oper entlangfahren. Mit ihrer Hilfe konnte ich die Oper in Prag verorten. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass ich Bilder mache, die aus dem Augenblick entstehen und in gewissem Sinne ungeplant sind. Ruhige Motive, bewusst komponiert – und manchmal spontan Equipment ist das A&O. Was darf in deiner Kamera- tasche nicht fehlen? Für einen Stadtspaziergang nehme ich s o wenig wie möglich mit: In meinen kompakten Tagesruck­ sack kommt meine Panasonic Lumix G9 mit einem leichten Weitwinkelobjektiv. Außerdem nehme ich ein Telezoom mit, ein Ersatzakku und ein kleines Stativ von Manfrotto, das eigentlich für Smartpho­ nes gebaut ist, aber eine Lumix noch stabil trägt. Viele Fotografen sehen die sozialen Medien eher als Fluch denn Segen. Du warst ein früher Befür- worter. Warum? Am Anfang, also 2010, nutzte ich Instagram, um mit Freunden Fotos auszutauschen, die wir mit unseren Smartphones gemacht hatten. Schnell bemerkte ich, dass es spannende Fotos auf Instagram zu ent­ decken gab. Street Photography aus Tokio oder New York konnte ich dort finden. Und fast alle mach­ ten die Fotos mit einem iPhone. Die Technik spielte eine nachgeordnete Rolle, denn alle hatten die glei­ chen Geräte. Hinzu kam, dass es Alltagsbeobach­ tungen waren – Fotos von unterwegs. Das kam mir entgegen, weil ich einige Jahre zuvor ein ähnliches Projekt gemacht hatte: Langzeitbeobachtungen des städtischen Alltags. Und schließlich war Instagram eine Möglichkeit, sich zu vernetzen und auch tat­ sächlich zu treffen. Ein Instagrammer aus Chicago, den ich neulich dort traf, erzählte mir, dass er mei­ nem Account als einem der ersten gefolgt sei. Und jetzt haben wir gemeinsam Kaffee getrunken. Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Fotograf auf Instagram mitbringen muss? Neben Durchhaltevermögen ist aus meiner Sicht wichtig, dass man ein Thema für sich definiert und das dann auch präsentiert. Außerdem sollte man der Spezifik des Mediums (kleiner Bildschirm, Hochformat) Rechnung tragen können und entspre­ chende Bilder machen, die funktionieren. Ich sehe oft Fotografen, die ihr Portfolio eins zu eins auf Ins­ tagram präsentieren. Die Bildsprache auf Instagram ist zum Teil anders und das Publikum möchte nur begrenzt Bilder sehen, die eigentlich für ein anderes Medium gemacht wurden.