Praxis
M OT I V-T I P P S
23
POLARLICHTER
Auf der Suche nach den
magischen Lichtern
Thomas Kast ist polarlicht-verrückt. Er steht
sich lieber bei -30 Grad nachts die Beine in den
Bauch und friert sich die Finger ab, bevor er
auch nur eines der magischen Lichter verpasst.
Text: Tarja Prüss, Fotos: Thomas Kast
68. Breitengrad, irgendwo in the middle of
nowhere in Finnisch Lappland, weit nach Mit-
ternacht. Man sieht seine eigene Hand vor Augen
nicht. Das Thermometer zeigt -12 Grad, doch durch
den Wind fühlt es sich gut zehn Grad kälter an.
Thomas Kast steht an einem zugefrorenen See und
das Einzige, was man hört, ist alle paar Sekunden
das Klicken seiner Kamera.
Kast, geboren in Karlsruhe, lebt seit bald 20 Jah-
ren in Oulu in Nordfinnland. Seine Passion: Polar-
lichter, in der Fachsprache Aurora Borealis. Dafür
hat er seinen Job bei Nokia an den Nagel gehängt.
Wenn Lady Aurora am Himmel tanzt, dann gibt es
für ihn kein Halten und keine Ausreden. Dann muss
er da raus. Egal, wie spät oder wie kalt es ist.
Löcher in der Wolkendecke
Seine Reiseteilnehmer aus aller Welt lieben ihn da-
für. Mit Salamapaja veranstaltet er Polarlichtreisen
in Kleingruppen für Fotoenthusiasten. „Wenn wir ja-
gen, jagen wir nicht Polarlichter, sondern Löcher in
der Wolkendecke,“ erzählt Thomas. Das Wetter ist
ein entscheidender Faktor. Um einen klaren Ster-
nenhimmel zu finden, fährt er schon mal zwei, drei
Stunden durch die Einsamkeit Lapplands.
14 mm (KB) | f/2,8 | 6 s | ISO 1600
Bedingungen
So studiert er laufend die Wetter-
für Polarlichter
karten, aber auch Sonnenwinde,
geomagnetische
geomagnetische Aktivitäten und
Aktivitäten auf der
Sonne
Eruptionen auf der Sonnenober-
klarer Himmel
fläche. Denn genau da nehmen
Dunkelheit
die Polarlichter ihren Anfang.
wenig bis gar
„Diese Idee, dass diese Miniparti-
keine Lichtver-
kel von der Sonne Millionen Ki-
schmutzung
lometer unterwegs sind im All,
Ende August bis
Mitte
April
dann in unsere Erdatmosphäre
rauschen, auf kleine, andere Teil-
chen treffen und uns letztlich das Polarlicht schen-
ken, das ist unbegreiflich. Und egal, ob es ein großes
oder ein kleines Polarlicht ist, es ist jedes Mal ma-
gisch“, gerät Thomas ins Schwärmen.
Die Teilchen werden vom Magnetfeld der Erde
angezogen, deswegen sind sie auch nur im Umkreis
der Pole sichtbar. Dennoch ist die Vorhersage von
Polarlichtern weiterhin eine Wissenschaft für sich.
Es braucht schon eine Menge Erfahrung, Wissen
und eine gute Portion Intuition, um zur richtigen
Zeit am richtigen Ort zu sein. Denn KP-Werte allein
(planetarische Kennziffer der geomagnetischen
Aktivität) sind keine verlässliche Quelle, viele
Vorhersage-Apps zu ungenau.
Ausrüstung für die Polarlicht-Fotografie
Um Polarlichter digital einfangen zu können, sollte
man seine Kamera gut beherrschen. Oft sind meh-
rere Belichtungsreihen notwendig. „Ich beginne
meist mit offener Blende f/2.8, ISO 2.000 und 10 Se-
kunden. Dann arbeite ich mich an die optimale Be-
lichtung ran.“ Da Licht-, Mond- und Wolkensituation
variieren, müssen die Einstellungen immer wie-
der neu angepasst werden. Die Kamera sollte ma-
nuell bedienbar sein und längere Belichtungszei-
ten zulassen. Ideal sind ein Weitwinkelobjektiv, ein
robustes Stativ und eine Stirn-
Technische Vor-
lampe, um sich in der lapplän-
aussetzungen
dischen Nacht zurechtzufinden.
Kamera mit Lang-
zeitbelichtung und
Zudem sollte man Ersatzakkus
manuellen Einstell-
möglichkeiten
dabeihaben, denn die Kälte senkt
mehrere Objek-
die Laufzeit von Batterien enorm.
tive (Weitwinkel
Und last but not least: passen-
und Zoom)
de Kleidung. Selbst im Herbst ist
Stativ
mehrlagige Kleidung und guter
Stirnlampe
Schutz für Kopf, Hals und Hände
ausreichend Bat-
terien und Spei-
empfehlenswert. „Wenn es da
cherkarten
oben tanzt, friere ich nicht. Oder
optional: Fernaus-
nicht mehr. Dann habe ich keine
löser und verschie-
dene
Filter
Zeit zu überlegen, ob es kalt ist“,
sagt Thomas.
14 mm (KB) |
f/2,8 | 8 s |
ISO 6.400
14 mm (KB) |
f/2,8 | 4 s |
ISO 2.000
Dunkle Flecken und keine Hektik
Wegen der geringen Lichtverschmutzung ist Lapp-
land geradezu ideal für Nachtfotografie. Die Ein-
wohnerdichte beträgt nur noch zwei Einwohner pro
Quadratkilometer. Da trifft man eher ein Rentier als
ein Auto. „Im Herbst fotografiere ich gerne am Was-
ser, weil sich die Polarlichter dann spiegeln. Im Win-
ter suche ich lieber höher gelegene Plätze auf, mit
dick verschneiten Bäumen und
Schutz vor Kälte
einem weiten Blick auf die schla-
Mehrere Schich-
fende Landschaft.“ Intuition und
ten: Thermo-Un-
terwäsche, Wollsa-
Stimmung spielen auch hier eine
chen, Fleecejacke,
Winterjacke, Ther-
wichtige Rolle.
mohose, Schal
Die Reisenden, die Thomas zu
Mehrere Lagen
seinen Plätzen führt, schätzen
auch für Hände,
Füße und Kopf
vor allem seine Professionalität,
sein enormes Wissen über die Po- ev. Handwärmer,
Zehenwärmer,
larlichter und seine mittlerweile
Bodywärmer
finnische Gelassenheit. „Wir ha-
Thermoskanne
mit heißem Tee
ben nie Eile, außer der Himmel
ist grün oder rosa, dann ist Hektik
angesagt,“ sagt Thomas lachend.
Die Magie der Polarlichter
Und so stehen wir in der nächtlichen Finsternis,
vergessen die Kälte angesichts des unfassbaren
Spektakels und staunen. Staunen über die Bänder,
die sich über den Himmel ziehen, auseinander
driften, aufflackern oder sich aufbäumen. Betörend
schön, wie sich die grünen Himmelslichter immer
wieder neu zusammensetzen und neue Forma-
tionen bilden.
14 mm (KB) |
f/2,8 | 4 s |
ISO 1.600
16 mm (KB) |
f/2,8 | 0,8 s |
ISO 6.400
Kein Wunder, dass sich zahlreiche Mythen darum
ranken. Nach altem Glauben seien es die Ahnen,
die Kontakt aufnehmen möchten. Oder der Polar-
fuchs, der über die Fjells rennt und dabei mit sei-
nem Schwanz Schnee aufwirbelt, weswegen Polar-
lichter in Finnland bis heute revontuli (Fuchsfeuer)
heißen. „Als ob die Polarlichter durch die Mythen so
etwas wie eine Seele eingepflanzt bekommen. Vor
allem die Vorstellung, dass die Ahnen da die Finger
im Spiel haben könnten, hat etwas Faszinierendes.“
Der Magie der Polarlichter kann man sich nicht
entziehen. Bis heute lassen sie sich nicht genau
vorhersagen. Es gibt keine Garantie. Und keinen
Gewöhnungseffekt. „Polarlichter sind jedes Mal an-
ders. Und jedes Mal schön. Das Adrenalin und die
Glücksgefühle – einfach unbeschreiblich.“
Die Autorin: Tarja Prüss ist Journalistin, Autorin
und Fotografin mit finnischen Wurzeln. Über ihre
Erlebnisse in Finnland schreibt sie auf Tarjas Blog.
Instagram: @tarjasblog.de
Der Fotograf: Thomas Kast ist Fotograf und ver-
anstaltet mit Salamapaja Foto-/Abenteuerreisen
in Kleingruppen in Finnisch Lappland.
Instagram: @thomaskast1