Praxis
PHOTO KLASSIK 25
Meeting Sofie
Ein Fotoprojekt führte Snezhana von Büdingen zu
Sofie. Die Protagonistin ließ die junge Fotografin
über Jahre nicht mehr los. Die Ergebnisse
bedürfen keiner Worte …
Text: Dagmar Schellhas-Pelzer; Bilder: Snezhana von Büdingen
Sie haben Sofie über drei
Sofie mit
Zigarette, 2018
Jahre (seit 2017) lang mit Ihrer
Kamera auf dem Hof ihrer Eltern
besucht und begleitet. Wieso hat Sofie
Sie so sehr und so lange fasziniert?
Im Jahr 2017 habe ich Sofie und ihre Familie zum
ersten Mal besucht. Damals arbeitete ich an dem
Fotoprojekt „Mutter“, für das ich Mütter mit ihren
Kindern mit Trisomie 21 porträtierte. Das Porträt
von Sofie und ihrer Mutter Barbara ist dann zum
ersten Bild der neuen Fotoserie geworden. Die
ersten Tage, die ich auf dem Familienhof mit Sofie
verbrachte, inspirierten mich für das Fotoprojekt
„Meeting Sofie“. Ich habe mittlerweile eine enge Bindung
zu Sofie. Ich mag vieles an ihr: ihre ruhige und
etwas schüchterne Art, ihre Herzlichkeit und Offenheit,
mit denen sie den Menschen begegnet, den
starken Ausdruck ihres Gesichts, der viel über ihr
Wesen verrät. Mich fasziniert immer wieder ihre
Eigenschaft, den Alltag ruhig und ohne Hektik zu
meistern. Wir hetzen uns so oft durch das Leben.
Die Kunst der Gelassenheit könnten wir bei Sofie
lernen. Als ich Sofie 2017 kennenlernte war sie in
einer Beziehung mit einem Jungen aus dem Dorf,
den sie in der Förderschule kennengelernt hatte.
Die Zärtlichkeit und innige Liebe zu dem Jungen,
wie sie ihn ansah, wie sie mit ihm umging, wollte
ich, neben ihrem Leben auf dem Hof, in den Fotografien
festhalten. Liebe macht Sofies Leben aus.
Der schöne Landhof der Eltern war ja auch
wirklich eine faszinierende Kulisse. Wie ging
es mit den Fotoshootings vonstatten?
Der Landhof, wo Sofie aufgewachsen ist, stammt
aus dem 16. Jahrhundert. Ihr Vater betreibt ein
Antiquitätengeschäft in der nahegelegenen Stadt
Quedlinburg. Sie wissen die Schönheit antiker Sachen
zu schätzen. Als sie im September 2010 in das
Haus eingezogen sind, befand es sich zum größten
Teil im modernisierten Zustand. Sie haben die Ursprünglichkeit
des Hauses, so weit es ging, wiederhergestellt.
Ich glaube, Sofie hat diese Atmosphäre
verinnerlicht. Unbewusst beeinflusst uns die Umgebung,
in der wir aufwachsen. Ich wurde schon
oft gefragt, ob ich mir die Kulisse einrichte, aber das
will und tue ich nicht. So, wie das Haus eingerichtet
ist, erzählt es sehr viel über seine Bewohner. Manche
Ecken im Haus finde ich besonders metaphorisch.
Dann habe ich ein starkes Verlangen, es abzulichten
oder Sofie in der Umgebung zu porträtieren.
Sofie mit ihrem
Freund Andy im
Mohnblumenfeld,
2018
Sofie genießt die
Autofahrt, 2018
Kommen wir darauf zurück, dass Sie in der Serie
„Mutter“ Kinder mit Trisomie 21 zusammen mit
ihren Mamas fotografiert haben. Woher kommt
denn das Interesse speziell an diesen Menschen?
Ich finde es interessant, wie sie die Welt wahrnehmen
und damit interagieren. Sie haben eine eigene
Sicht auf das, was um sie herum geschieht. Ich habe
eine Vielfalt an Kindercharakteren durch dieses Projekt
kennengelernt. Ich wollte den besonderen Charakter
jedes einzelnen Kindes hervorheben. Sie sind
so unterschiedlich, wie auch jedes andere Kind ohne
Down Syndrom. In meinem Projekt „Mutter“ ging es
aber vor allem um die bedingungslose innige Mutterliebe.
Aus den Gesprächen mit den Frauen, die ich
porträtiert habe, habe ich erfahren, dass viele von
ihnen während der Schwangerschaft nicht wussten,
dass sie ein Kind mit Trisomie 21 bekommen werden.
Andere haben sich ganz bewusst für ein Kind
mit Trisomie 21 entschieden. Manche Frauen hatten
Angst. Wie unterschiedlich die Geschichten auch
sein mögen, die Liebe, die jede Frau zu ihrem Kind
empfindet, war mit der Geburt des Kindes sofort da
und überblendete alle Ängste. Diese Liebe gab den
Frauen Kraft und erfüllte sie mit Glück. Diese besondere
Bindung zwischen Mutter und Kind wollte ich
in meinem Projekt „Mutter“ zeigen.
Warum realisieren Sie Ihre Projekte analog?
Bis zum Fotoprojekt „Meeting Sofie“ (von Oktober
2017 bis heute) habe ich digital fotografiert. Auch
das Projekt „Mutter“ (Entstehungsjahr 2017) habe ich
digital umgesetzt. Seit ich aber meinen ersten Film
entwickelt und die Bilder gesehen habe, wollte ich
nur noch analog fotografieren. Zum einen mag ich
den speziellen Look analoger Fotografien, der einen
hohen Dynamikumfang und großen Farbraum aufweist.
Das liegt vielleicht auch am Mittelformat,
das ich bevorzugt benutze. Meist fotografiere ich
mit einer Hasselblad 500CM und einer Mamiya 7II.
Zum anderen verläuft der Prozess des Fotografierens
an sich anders. Es gibt nicht die Möglichkeit,
das entstandene Bild sofort zu überprüfen. Am Anfang
war es gewöhnungsbedürftig für mich. Im
Nachhinein empfinde ich es jedoch als positiv, denn
ich bin noch fokussierter auf das Hier und Jetzt.
Das analoge Fotografieren beschert mir ein doppeltes
Glückserlebnis – zuerst beim Fotografieren und
dann, wenn ich die entwickelten Filme vor mir liegen
habe, sie scanne und zum ersten Mal mit einem
zeitlichen Abstand die Ergebnisse sehe.
Sofie in der Ritterküche,
2019
Sofie mit ihrer
Mutter Barbara,
2019
Können Sie sich vorstellen, Sofie in einigen Jahren
noch einmal zu besuchen und ihr Leben erneut zu
fotografieren? Was würden Sie anders machen?
Auf jeden Fall! Ich werde Sofie weiterhin fotografisch
begleiten und bin sehr gespannt, welche Veränderungen
ihr Leben bringen wird, wie sie sich
als Frau weiterentwickelt, ob sie irgendwann eine
Familie gründen wird. Es kann noch so viel passieren.
Aktuell arbeite ich an meinem ersten Fotobuch
„Meeting Sofie“. Ich hoffe, dass es noch in diesem
Jahr erscheint. Ob ich in der Zukunft etwas anders
machen würde, ist schwer vorauszusagen. Oft verändert
sich der fotografische Stil im Laufe der Zeit.
Was sicher ist, ich werde weiterhin so fotografieren,
dass ich beim Anschauen des entstandenen Bildes
sagen kann, „ja, genau so hat es sich angefühlt“.
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